Liebe Ursula, Ihr lieben ehemaligen unserer Klasse der
Carl-Hauptmann-Schule
Bad Salzbrunn
Ich möchte mich erst mal herzlich bedanken für die Einladung
zu unserem Klassentreffen; ein besonderer Dank gilt Euch, den Organisatoren
dieses Tages, dass Ihr so viel Mühe aufgebracht habt, uns aufzustöbern, denn
wir sind ja einstmals in alle Winde verstreut worden. Sehr gern würde ich ja
persönlich zu dem Treffen kommen, doch leider habe ich keinen „Dreh" gefunden, für eine akzeptable zu einer Reise vor dem bewussten Alter. So will
ich wenigstens versuchen zu berichten, wie es mir in den vergangenen Zeiten
ergangen ist.
Ich habe damals in Weissstein beim Tischlermeister Paul Wezel Bau- und Möbeltischler gelernt. Im November
1944 kam die Einberufung zum RAd nach Liebau in das Riesengebirge. Das war eigentlich nochmal eine recht schöne Zeit. Gleich
als wir hin kamen suchte man einen Tischler, der Spielzeug für die Kinder deren
Väter im Einsatz waren als Weihnachtsgeschenk bauen sollte. Ich meldete mich
und war dann so ziemlich mein eigener Herr und brauchte den ganzen anderen
Rummel nicht mit machen. Obendrein bekam ich für die prompte Ausführung mit dem
Maler zusammen, der alles fein säuberlich angepinselt hatte, sogar noch über
die Feiertage 3 Tage Sonderurlaub, obwohl allgemeine Urlaubssperre bestand.
Diese schöne Zeit dauerte nicht lange, denn Mitte Januar 1945 wurde ich vom
Arbeitsdienst entlassen und bekam gleich die Einberufung zur Wehrmacht mit und
zwar am 19.01.1945 nach Ohlau zur Artillerie. Auf dem Bahnhof in Breslau war bereits
totales Chaos, alles mit Flüchtlingen verstopft, ein Bild des Grauens. In
Richtung Ohlau fuhr außer ein paar Landsern fast niemand mehr. In der Kaserne
in Ohlau ging auch bereits alles drunter und drüber. Nach wenigen Tagen lagen
wir schon unter Beschuss, so dass wir dann bei Nacht und Nebel den Rückzug
angetreten haben. Im Fußmarsch sollten wir Bunzlau und später Lanbein
erreichen. Bei knackiger Kälte, verschneiten Straßen und nichts Gescheites im
Magen waren wir fast drei Wochen unterwegs. Genächtigt haben wir meist in einer
Scheune oder ähnlichem. Die einigermaßen festen Quartiere mussten ja für die
vielen Flüchtlinge bleiben, die unterwegs waren. In Gebhardsdorf zwischen
Bunzlau und Lauban ging unsere Batterie in Stellung. Wir Jüngsten, Jahrgang
1928, wurden herausgefischt und mussten weiter bis Lauban. Bald waren uns aber
auch hier die „Befreier“ auf den Fersen. In den Orten um Lauban herum brannte
er schon überall, es war so richtig der Teufel los.
Unser inzwischen zusammengewürfelter Haufen ist dann
schließlich am 13.02.1945 mit dem letzten, leeren Kohle Zug, der Lauban
verließ, in Richtung Sachsen abtransportiert worden. Offene Wagons mit
Kohledreck, etwa 40 Mann drin, von oben halb Schnee halb Regen! So kamen wir
nach fünf Tagen an einem Sonntagmorgen in Delitzsch/Sa. an. Die Leute dort
konnten es gar nicht so recht begreifen, wo wir herkamen und was dort
eigentlich los war. Hier in Delitzsch erhielten wir eine Ausbildung im
Schnellverfahren. Am 25.03.1945 wurden wir dann per Bahn auf einen
Truppenübungsplatz nach Österreich verlegt und Ende April dann unsere Einheit von
Süden her zum Einsatz in die Tschechei in Marsch gesetzt. Die Rollbahn lag aber
bereits unter Beschuss von Tieffliegern, so dass sich die Kolonnen nur in der
Dunkelheit bewegen konnten. Im Morgengrauen des 7. oder 8. Mai kam uns die 6.
Panzerdivision entgegen und fragte, wo wir eigentlich noch hinwollten; wo wir
herkämen, wäre noch das einzige offene Loch, alles andere sei bereits
eingekesselt. Schließlich erhielten wir dann den Befehl die Pferde auszuspannen
(wir waren eine bespannte Einheit) und zu versuchen mit der zurückfahrenden
Panzereinheit mit zu kommen. Ich bin dann mit noch einigen von einem
Schützenpanzerwagen mitgenommen worden. Über Feld- und Waldwege ging es zurück,
denn die Hauptstraßen wurden bereits von den „Befreiern“ beherrscht.
Es kam dann die Parole heraus, dass wir bis über die Moldau
müssten, um in Sicherheit zu sein. Wie schon erwähnt ging das aber nur über
„Schleichwege“. An einer Stelle mussten wir aber doch mal die Rollbahn
überqueren. Es war so ziemlich klar, dass wir dabei angehalten werden. Wir
hatten zwar unseren Fahrer eingeschärft durchzufahren, denn mit dem gepanzerten
Fahrzeug hätte man uns nicht viel anhaben können; er hielt aber trotzdem und damit war unser Schicksal besiegelt, im Klartext:
Gefangenschaft.
Wir sind dann noch unter Bewachung mit unserem eigenen
Fahrzeug bis nach Tabor in ein riesengroßes Auffanglager gefahren. Im Nach
hinein hat es sich herausgestellt, dass es in gewisser Hinsicht noch Glück im
Unglück war, dass wir mit dem Fahrzeug in das Lager sind, denn diejenigen, die
wie eine Viehherde getrieben, also zu Fuß kamen, haben bei den Tschechen noch
die Hölle auf Erden gehabt. Es ist unvorstellbar, was man mit den Leuten alles
angestellt hat. So war die Rede davon, dass dort etwa 60.000 Landser
zusammengetrieben worden sind. Was sich im Einzelnen da abgespielt hat ist
einfach grauenhaft und man kann es kaum zu Papier bringen.
In der Folgezeit sind dann Transporte zusammengestellt
worden, die mit unbekanntem Ziel wegkamen. Am 01.06.1945 war ich dann auch
dabei; allerdings hieß es, wir kämen nach Deutschland zu Aufräumungsarbeiten.
Doch weit gefehlt! Die Richtung, in der wir fuhren, war genau entgegengesetzt,
Südost, Österreich, Ungarn, Rumänien in ein Zwischenlager. Hier wurden dann die
jüngsten und ältesten herausgefischt und sollten eigentlich nach Hause kommen.
Alle anderen kamen nach kurzem Zwischenaufenthalt nach Russland. Wenn zu diesen
Transporten zahlenmäßig noch Leute fehlten, wurden kurzerhand noch von den
Jüngsten welche herausgeholt und mitgeschickt. Ende Juni hat es mich dann auch erwischt und
es ging weiter bis nach Konstanz am Schwarzen Meer. Hier hat man uns in eine
Art Viehkoppel gesperrt, etwa 2.000 Mann unter feien Himmel, rund herum
doppelter Stacheldraht, kein Baum, kein Strauch, tagsüber glühende Hitze und
die Nächte eiskalt; es sollte aber „noch besser“ kommen. Um den 08.06.1945
herum sind wir dann auf ein Schiff verfrachtet worden, hatten aber vorher schon
3 Tage keinen Bissen mehr zu Essen bekommen. So ausgemergelt kamen wir im
Morgengrauen im Hafen von Odessa an, nur gut, dass es kühler war, sonst wären
wir umgekippt wie die Fliegen. Hier teilte man uns in verschiedene Lager auf.
In erster Linie haben wir in einer Wagonfabrik Aufräumungsarbeiten gemacht und
später dann in eigener Regie eine Halle gebaut. Unsere Posten (russische
Bewachung) hatten genau so viel Kohldampf wie wir und so ist es dann
vorgekommen, dass ei „Schmiere“ gestanden haben, wenn wir versuchten auf dem
angrenzenden Güterbahnhof Kartoffeln zu organisieren und sie dann in der
Baubude mit gefuttert haben. Das dauerte jedoch nicht lange, und man brachte
uns als Posten „Schlitzaugen“, die hatten dafür kein Verständnis. Zwischendurch
habe ich mal eine Zeitlang im Straßenbahndepot gearbeitet und zwar haben wir Innenausbauten
von Straßenbahnwagen erneuert. Hier war eine russische Frau, die mir jeden Tag
etwas essbares unter die Hobelbank gesteckt hat. Das konnte sie aber nur ganz
heimlich machen, denn erwischen lassen durfte sie sich nicht.
Im Mai 1946 wurde ein großer Teil unseres Lagers nach Kiew
verlegt, zum Straßenbau und zwar etwas ähnliches wie eine Autobahn. Die Trasse
wurde nur mit Hacke und Schaufel gebuddelt und das bei einer ganz miserablen
Verpflegung. Früh, Mittag und Abend Wassersuppe und eine Scheibe trockenes
Brot, ohne irgendwelchen Aufstrich oder Belag. Wenn es wenigstens noch Brot in
unserem Sinne gewesen wäre, es war „Kleb“ übelster Qualität. Und so kam es, wie
es kommen musste, Ende des Jahres 1946 war ich bei den Halbtoten gelandet, d.h.
für Außenarbeiten nicht mehr tauglich. Hinzu kam der extreme Winter 1946/47, in
dem ich mir dann noch Erfrierungen an beiden Händen und Füßen zugezogen habe. Bei
klirrendem Frost um die -30 Grad herum mussten wir aus Bruchsteinen Schotter
klopfen!!
So habe ich mich bis zum Spätherbst des Jahres 1947
hingeschleppt, oft mehr Tod als lebendig, das Wasser stand bis zu den Hüften,
die Fußgelenke so dick wie die Oberschenkel, die Ruhr hatte uns gepackt und
vieles andere, was man gar nicht mehr registriert hat. Am 18.11.1947 war es
dann soweit, dass ich mit einem Transport solcher „unbrauchbaren“ Leute – oder
genauer gesagt Todeskandidaten – in Richtung Deutschland abgeschoben wurde.
Wie bin ich dann nun ausgerechnet in Thüringen gelandet?
Etwa im Sommer 1946 erhielten wir das erste Mal Post. Unter anderem schrieb mir
auch meine Cousine, die es mit einem Transport nach Thüringen verschlagen
hatte, falls ich entlassen werde, sollte ich ihre Adresse angeben, denn nach
Schlesien würde niemand entlassen. Das habe ich dann auch gemacht und so bin
ich hierhergekommen und geblieben. Ich wäre auch gar nicht in der Lage gewesen,
irgendwie noch weiter zu ziehen. Außer meiner Cousine war sonst niemand hier;
meine Mutter war ja im Mai 1945 noch beim Witwer Bauer tödlich verunglückt.
Bei der ärztlichen Untersuchung sagte man mir, dass außer
dem miserablen Allgemeinzustand ich auch noch eine nasse Rippenfellentzündung
gehabt hätte und davon eine Schwarte zurückgeblieben ist und Unheil angerichtet
hat. So war ich fast ein Jahr arbeitsunfähig.
Am 01.11.1948 konnte ich dann erst eine Tätigkeit in einem
Holzbaubetrieb aufnehmen, in dem ich heute noch bin. Die ersten Jahre waren
sehr, sehr hart; überall war man nur ein geduldeter Gast, ganz zu schweigen von
der allgemeinen Voreingenommenheit gegenüber uns „Zugereisten“. Zur Ehre der
Hermsdorfer muss ich aber auch sagen, dass es eine ganze Reihe Leute gab, von
denen ich irgendwelche Hilfe erhalten habe. Als ich damals hier her kam war ich
ja auch wie eine „Sehenswürdigkeit“. Von den älteren, die es einmal miterlebt
haben, sagen heute noch welche, dass sie es nicht für möglich gehalten hätten,
dass ich es überstehe.
In den ersten Jahren, als ich hier war, lernte ich meine
Frau Hildegard kennen. Sie stammt aus Liegnitz und ihr Vater hat sogar einige
Jahre in Wessstein gewohnt und der Großvater war viele Jahre im Waldenburger
Kohlerevier. 1951 haben wir geheiratet und sind heute noch so einträchtig
zusammen wie damals. Ganz allmählich haben wir uns hochgearbeitet; angefangen
mit einem gemeinsamen Zimmer, dass wir sehr glücklich unsere erste Wohnung
nennen durften. Als wir dort einziehen sollten, wollte uns die alte Oma des
Hausbesitzers nicht in das Haus lassen, denn wir Evakuierten waren ja als wer
weiß was verschrien. Jedoch ein Jahr später hatte sie dann auch bemerkt, dass wir
ganz normale und ordentliche Menschen waren und uns am liebsten nicht mehr
weglassen wollte, als wir etwas Größeres bekamen.
Allein geblieben sind wir nicht, im Laufe der Jahre
„gesellten“ sich drei Söhne zu uns. So war Leben im „Bau“, man musste auch ganz
schön den Nacken steifhalten, um über die Runden zu kommen. Sehr vieles haben
wir selbst gemacht und tun es zum Teil auch heute noch. Inzwischen ist unser
ältester Sohn 33 und hat auch schon wieder Nachwuchs; der mittelste 31, noch zu
Hause; der jüngste 29 und am weitesten fort, in der Nähe von Berlin, wo seine
Frau herstammt und haben sich ein Häuschen gebaut. Dort haben wir auch bereits
zwei Enkelsöhne.
Meinem einstmals erlernten Beruf bin ich treu geblieben,
also ein „Holzwurm“. Ich bin schon fast 40 Jahre hier indem Holzbauwerk und
zwar seit 1953 als Schichtleiter, beziehungsweise Abteilungsleiter im
Maschinensaal. Nebenher, also ehrenamtlich, fungiere ich auch noch als
„Feuerwehrhauptmann“ der Betriebsfeuerwehr. So habe ich vollauf zu tun und muss
schon sehr auf Draht sein, um durchzukommen. Vor allem als junger Dachs in den
ersten Jahren hatte ich oft keinen leichten Stand. Inzwischen bin ich aber nun
der Dienstälteste Meister und gehöre zum „alten Inventar“.
Als Freizeitbeschäftigung und gewissermaßen zum Ausgleich
befasse ich mich mit einem großen Garten. Darüber hinaus haben es mir aber auch
noch die Bienen angetan und so kann man schon sagen, bin ich seit Jahren ein
leidenschaftlicher Hobby-Imker. Genau genommen ist die Imkerei fast eine
Wissenschaft für sich und man kann immer wieder nee Entdeckungen machen. So hat
eben jeder einen anderen „Vogel“.
Das wäre es eigentlich. So wünsche ich Euch zu Eurem Treffen
gutes Gelingen, dass Ihr ein paar schöne Stunden verlebt, so manche Erinnerung
„ausgrabt“ und Ihr Euch bei guter Gesundheit wiederseht. |