Günter Philipp – seit 1947 in Hermsdorf, 1953 - 2019 Alte Regensburger Str. 18 (ehemals Pfarrhaus)

•   18.06.1928 Bad Salzbrunn, Schlesien
†  16.04.2019 Hermsdorf

 
- 1934 – 1942 Carl-Hauptmann-Schule Bad Salzbrunn
- 1942 – 1944 Lehre Tischlermeister Paul Wezel Weissstein
- 1944 – 1945 Reichsarbeitsdienst Liebau - 19.01.1945 Wehrmacht
- Artillerie Ohlau, verschiedene weitere Orte
- Mai 1945 Gefangenschaft Russland
- 18.11.1947 Entlassung nach Hermsdorf, als Folge der Gefangenschaft Krankheit
- Untergebracht kurz in Gaststätte "Zur Linde", später Einquartierung Eisenberger Strasse
- ab 1953 Alte Regensburger Str. 18
- 01.11.1948 Beginn der Tätigkeit Holzbauwerke Hermsdorf, 1953 Schichtleiter / Abteilungsleiter
- Mitglied Betriebsfeuerwehr und Hobby-Imker
- 1951 Ehe mit Hildegard Dittert (• 15.05.1926 Liegnitz / Schlesien)
- drei Söhne Martin, Bernd und Wolfgang
Günter Philipp
 
Geburtsort und Schule Bad Salzbrunn
Geburtsort und Schule Bad Salzbrunn
Geburtsort und Schule Bad Salzbrunn
Lehrort Weissstein sowie Geburtsort und Schule der Ehefrau
Lehrort Weissstein sowie Geburtsort und Schule der Ehefrau
Lehrort Weissstein
Reichsarbeitsdienstlager Abt. 5/103 „Sudetenland“ Liebau Reichsarbeitsdienstlager Abt. 5/103 „Sudetenland“ Liebau
Reichsarbeitsdienstlager Abt. 5/103 „Sudetenland“ Liebau
Ausweis vom 18.11.1947 - Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft Ausweis vom 18.11.1947 - Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft
Ausweis vom 18.11.1947 - Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft
 
Im Juni 1987 erhielt Günter Philipp eine Einladung zu einem Klassentreffen in die Bundesrepublik.
Als 59jähriger DDR-Bürger durfte er nicht in die BRD reisen. Seine „Absage“ wird nachfolgend wiedergegeben.
 
Hermsdorf/Thür. im Juni 1987

Liebe Ursula, Ihr lieben ehemaligen unserer Klasse der Carl-Hauptmann-Schule Bad Salzbrunn

Ich möchte mich erst mal herzlich bedanken für die Einladung zu unserem Klassentreffen; ein besonderer Dank gilt Euch, den Organisatoren dieses Tages, dass Ihr so viel Mühe aufgebracht habt, uns aufzustöbern, denn wir sind ja einstmals in alle Winde verstreut worden. Sehr gern würde ich ja persönlich zu dem Treffen kommen, doch leider habe ich keinen „Dreh" gefunden, für eine akzeptable zu einer Reise vor dem bewussten Alter. So will ich wenigstens versuchen zu berichten, wie es mir in den vergangenen Zeiten ergangen ist.

Ich habe damals in Weissstein beim Tischlermeister Paul Wezel Bau- und Möbeltischler gelernt. Im November 1944 kam die Einberufung zum RAd nach Liebau in das Riesengebirge. Das war eigentlich nochmal eine recht schöne Zeit. Gleich als wir hin kamen suchte man einen Tischler, der Spielzeug für die Kinder deren Väter im Einsatz waren als Weihnachtsgeschenk bauen sollte. Ich meldete mich und war dann so ziemlich mein eigener Herr und brauchte den ganzen anderen Rummel nicht mit machen. Obendrein bekam ich für die prompte Ausführung mit dem Maler zusammen, der alles fein säuberlich angepinselt hatte, sogar noch über die Feiertage 3 Tage Sonderurlaub, obwohl allgemeine Urlaubssperre bestand. Diese schöne Zeit dauerte nicht lange, denn Mitte Januar 1945 wurde ich vom Arbeitsdienst entlassen und bekam gleich die Einberufung zur Wehrmacht mit und zwar am 19.01.1945 nach Ohlau zur Artillerie. Auf dem Bahnhof in Breslau war bereits totales Chaos, alles mit Flüchtlingen verstopft, ein Bild des Grauens. In Richtung Ohlau fuhr außer ein paar Landsern fast niemand mehr. In der Kaserne in Ohlau ging auch bereits alles drunter und drüber. Nach wenigen Tagen lagen wir schon unter Beschuss, so dass wir dann bei Nacht und Nebel den Rückzug angetreten haben. Im Fußmarsch sollten wir Bunzlau und später Lanbein erreichen. Bei knackiger Kälte, verschneiten Straßen und nichts Gescheites im Magen waren wir fast drei Wochen unterwegs. Genächtigt haben wir meist in einer Scheune oder ähnlichem. Die einigermaßen festen Quartiere mussten ja für die vielen Flüchtlinge bleiben, die unterwegs waren. In Gebhardsdorf zwischen Bunzlau und Lauban ging unsere Batterie in Stellung. Wir Jüngsten, Jahrgang 1928, wurden herausgefischt und mussten weiter bis Lauban. Bald waren uns aber auch hier die „Befreier“ auf den Fersen. In den Orten um Lauban herum brannte er schon überall, es war so richtig der Teufel los.

Unser inzwischen zusammengewürfelter Haufen ist dann schließlich am 13.02.1945 mit dem letzten, leeren Kohle Zug, der Lauban verließ, in Richtung Sachsen abtransportiert worden. Offene Wagons mit Kohledreck, etwa 40 Mann drin, von oben halb Schnee halb Regen! So kamen wir nach fünf Tagen an einem Sonntagmorgen in Delitzsch/Sa. an. Die Leute dort konnten es gar nicht so recht begreifen, wo wir herkamen und was dort eigentlich los war. Hier in Delitzsch erhielten wir eine Ausbildung im Schnellverfahren. Am 25.03.1945 wurden wir dann per Bahn auf einen Truppenübungsplatz nach Österreich verlegt und Ende April dann unsere Einheit von Süden her zum Einsatz in die Tschechei in Marsch gesetzt. Die Rollbahn lag aber bereits unter Beschuss von Tieffliegern, so dass sich die Kolonnen nur in der Dunkelheit bewegen konnten. Im Morgengrauen des 7. oder 8. Mai kam uns die 6. Panzerdivision entgegen und fragte, wo wir eigentlich noch hinwollten; wo wir herkämen, wäre noch das einzige offene Loch, alles andere sei bereits eingekesselt. Schließlich erhielten wir dann den Befehl die Pferde auszuspannen (wir waren eine bespannte Einheit) und zu versuchen mit der zurückfahrenden Panzereinheit mit zu kommen. Ich bin dann mit noch einigen von einem Schützenpanzerwagen mitgenommen worden. Über Feld- und Waldwege ging es zurück, denn die Hauptstraßen wurden bereits von den „Befreiern“ beherrscht.

Es kam dann die Parole heraus, dass wir bis über die Moldau müssten, um in Sicherheit zu sein. Wie schon erwähnt ging das aber nur über „Schleichwege“. An einer Stelle mussten wir aber doch mal die Rollbahn überqueren. Es war so ziemlich klar, dass wir dabei angehalten werden. Wir hatten zwar unseren Fahrer eingeschärft durchzufahren, denn mit dem gepanzerten Fahrzeug hätte man uns nicht viel anhaben können; er hielt aber trotzdem und damit war unser Schicksal besiegelt, im Klartext: Gefangenschaft.

Wir sind dann noch unter Bewachung mit unserem eigenen Fahrzeug bis nach Tabor in ein riesengroßes Auffanglager gefahren. Im Nach hinein hat es sich herausgestellt, dass es in gewisser Hinsicht noch Glück im Unglück war, dass wir mit dem Fahrzeug in das Lager sind, denn diejenigen, die wie eine Viehherde getrieben, also zu Fuß kamen, haben bei den Tschechen noch die Hölle auf Erden gehabt. Es ist unvorstellbar, was man mit den Leuten alles angestellt hat. So war die Rede davon, dass dort etwa 60.000 Landser zusammengetrieben worden sind. Was sich im Einzelnen da abgespielt hat ist einfach grauenhaft und man kann es kaum zu Papier bringen.

In der Folgezeit sind dann Transporte zusammengestellt worden, die mit unbekanntem Ziel wegkamen. Am 01.06.1945 war ich dann auch dabei; allerdings hieß es, wir kämen nach Deutschland zu Aufräumungsarbeiten. Doch weit gefehlt! Die Richtung, in der wir fuhren, war genau entgegengesetzt, Südost, Österreich, Ungarn, Rumänien in ein Zwischenlager. Hier wurden dann die jüngsten und ältesten herausgefischt und sollten eigentlich nach Hause kommen. Alle anderen kamen nach kurzem Zwischenaufenthalt nach Russland. Wenn zu diesen Transporten zahlenmäßig noch Leute fehlten, wurden kurzerhand noch von den Jüngsten welche herausgeholt und mitgeschickt.  Ende Juni hat es mich dann auch erwischt und es ging weiter bis nach Konstanz am Schwarzen Meer. Hier hat man uns in eine Art Viehkoppel gesperrt, etwa 2.000 Mann unter feien Himmel, rund herum doppelter Stacheldraht, kein Baum, kein Strauch, tagsüber glühende Hitze und die Nächte eiskalt; es sollte aber „noch besser“ kommen. Um den 08.06.1945 herum sind wir dann auf ein Schiff verfrachtet worden, hatten aber vorher schon 3 Tage keinen Bissen mehr zu Essen bekommen. So ausgemergelt kamen wir im Morgengrauen im Hafen von Odessa an, nur gut, dass es kühler war, sonst wären wir umgekippt wie die Fliegen. Hier teilte man uns in verschiedene Lager auf. In erster Linie haben wir in einer Wagonfabrik Aufräumungsarbeiten gemacht und später dann in eigener Regie eine Halle gebaut. Unsere Posten (russische Bewachung) hatten genau so viel Kohldampf wie wir und so ist es dann vorgekommen, dass ei „Schmiere“ gestanden haben, wenn wir versuchten auf dem angrenzenden Güterbahnhof Kartoffeln zu organisieren und sie dann in der Baubude mit gefuttert haben. Das dauerte jedoch nicht lange, und man brachte uns als Posten „Schlitzaugen“, die hatten dafür kein Verständnis. Zwischendurch habe ich mal eine Zeitlang im Straßenbahndepot gearbeitet und zwar haben wir Innenausbauten von Straßenbahnwagen erneuert. Hier war eine russische Frau, die mir jeden Tag etwas essbares unter die Hobelbank gesteckt hat. Das konnte sie aber nur ganz heimlich machen, denn erwischen lassen durfte sie sich nicht.

Im Mai 1946 wurde ein großer Teil unseres Lagers nach Kiew verlegt, zum Straßenbau und zwar etwas ähnliches wie eine Autobahn. Die Trasse wurde nur mit Hacke und Schaufel gebuddelt und das bei einer ganz miserablen Verpflegung. Früh, Mittag und Abend Wassersuppe und eine Scheibe trockenes Brot, ohne irgendwelchen Aufstrich oder Belag. Wenn es wenigstens noch Brot in unserem Sinne gewesen wäre, es war „Kleb“ übelster Qualität. Und so kam es, wie es kommen musste, Ende des Jahres 1946 war ich bei den Halbtoten gelandet, d.h. für Außenarbeiten nicht mehr tauglich. Hinzu kam der extreme Winter 1946/47, in dem ich mir dann noch Erfrierungen an beiden Händen und Füßen zugezogen habe. Bei klirrendem Frost um die -30 Grad herum mussten wir aus Bruchsteinen Schotter klopfen!!

So habe ich mich bis zum Spätherbst des Jahres 1947 hingeschleppt, oft mehr Tod als lebendig, das Wasser stand bis zu den Hüften, die Fußgelenke so dick wie die Oberschenkel, die Ruhr hatte uns gepackt und vieles andere, was man gar nicht mehr registriert hat. Am 18.11.1947 war es dann soweit, dass ich mit einem Transport solcher „unbrauchbaren“ Leute – oder genauer gesagt Todeskandidaten – in Richtung Deutschland abgeschoben wurde.

Wie bin ich dann nun ausgerechnet in Thüringen gelandet? Etwa im Sommer 1946 erhielten wir das erste Mal Post. Unter anderem schrieb mir auch meine Cousine, die es mit einem Transport nach Thüringen verschlagen hatte, falls ich entlassen werde, sollte ich ihre Adresse angeben, denn nach Schlesien würde niemand entlassen. Das habe ich dann auch gemacht und so bin ich hierhergekommen und geblieben. Ich wäre auch gar nicht in der Lage gewesen, irgendwie noch weiter zu ziehen. Außer meiner Cousine war sonst niemand hier; meine Mutter war ja im Mai 1945 noch beim Witwer Bauer tödlich verunglückt.

Bei der ärztlichen Untersuchung sagte man mir, dass außer dem miserablen Allgemeinzustand ich auch noch eine nasse Rippenfellentzündung gehabt hätte und davon eine Schwarte zurückgeblieben ist und Unheil angerichtet hat. So war ich fast ein Jahr arbeitsunfähig.

Am 01.11.1948 konnte ich dann erst eine Tätigkeit in einem Holzbaubetrieb aufnehmen, in dem ich heute noch bin. Die ersten Jahre waren sehr, sehr hart; überall war man nur ein geduldeter Gast, ganz zu schweigen von der allgemeinen Voreingenommenheit gegenüber uns „Zugereisten“. Zur Ehre der Hermsdorfer muss ich aber auch sagen, dass es eine ganze Reihe Leute gab, von denen ich irgendwelche Hilfe erhalten habe. Als ich damals hier her kam war ich ja auch wie eine „Sehenswürdigkeit“. Von den älteren, die es einmal miterlebt haben, sagen heute noch welche, dass sie es nicht für möglich gehalten hätten, dass ich es überstehe.

In den ersten Jahren, als ich hier war, lernte ich meine Frau Hildegard kennen. Sie stammt aus Liegnitz und ihr Vater hat sogar einige Jahre in Wessstein gewohnt und der Großvater war viele Jahre im Waldenburger Kohlerevier. 1951 haben wir geheiratet und sind heute noch so einträchtig zusammen wie damals. Ganz allmählich haben wir uns hochgearbeitet; angefangen mit einem gemeinsamen Zimmer, dass wir sehr glücklich unsere erste Wohnung nennen durften. Als wir dort einziehen sollten, wollte uns die alte Oma des Hausbesitzers nicht in das Haus lassen, denn wir Evakuierten waren ja als wer weiß was verschrien. Jedoch ein Jahr später hatte sie dann auch bemerkt, dass wir ganz normale und ordentliche Menschen waren und uns am liebsten nicht mehr weglassen wollte, als wir etwas Größeres bekamen.

Allein geblieben sind wir nicht, im Laufe der Jahre „gesellten“ sich drei Söhne zu uns. So war Leben im „Bau“, man musste auch ganz schön den Nacken steifhalten, um über die Runden zu kommen. Sehr vieles haben wir selbst gemacht und tun es zum Teil auch heute noch. Inzwischen ist unser ältester Sohn 33 und hat auch schon wieder Nachwuchs; der mittelste 31, noch zu Hause; der jüngste 29 und am weitesten fort, in der Nähe von Berlin, wo seine Frau herstammt und haben sich ein Häuschen gebaut. Dort haben wir auch bereits zwei Enkelsöhne.

Meinem einstmals erlernten Beruf bin ich treu geblieben, also ein „Holzwurm“. Ich bin schon fast 40 Jahre hier indem Holzbauwerk und zwar seit 1953 als Schichtleiter, beziehungsweise Abteilungsleiter im Maschinensaal. Nebenher, also ehrenamtlich, fungiere ich auch noch als „Feuerwehrhauptmann“ der Betriebsfeuerwehr. So habe ich vollauf zu tun und muss schon sehr auf Draht sein, um durchzukommen. Vor allem als junger Dachs in den ersten Jahren hatte ich oft keinen leichten Stand. Inzwischen bin ich aber nun der Dienstälteste Meister und gehöre zum „alten Inventar“.

Als Freizeitbeschäftigung und gewissermaßen zum Ausgleich befasse ich mich mit einem großen Garten. Darüber hinaus haben es mir aber auch noch die Bienen angetan und so kann man schon sagen, bin ich seit Jahren ein leidenschaftlicher Hobby-Imker. Genau genommen ist die Imkerei fast eine Wissenschaft für sich und man kann immer wieder nee Entdeckungen machen. So hat eben jeder einen anderen „Vogel“.

Das wäre es eigentlich. So wünsche ich Euch zu Eurem Treffen gutes Gelingen, dass Ihr ein paar schöne Stunden verlebt, so manche Erinnerung „ausgrabt“ und Ihr Euch bei guter Gesundheit wiederseht.

Herzliche Grüße sendet Euch allen Euer ehemaliger Klassenkamerad Günter Philipp

Sonderbefehl von 1945 - Vertreibung

Vertreibung vor 50 Jahren

 
 
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